Samstag, 31. Januar 2015

Die Fallstudie – Praxiserfahrungen in der Ausbildung


In einer Fallstudie wird ein vorgegebener Fall von den Lernenden analysiert, ausgewertet, bewertet und bearbeitet. Diese Methode eignet sich in der Ausbildung, um theoretische Lerninhalte im Zusammenhang mit den jeweiligen praktischen Anwendungen erfahrbar zu machen. 

Ursprung in Harvard
Ein gewisser Cristopher C. Langdell führte im Jahre 1870 an der Harvard Law School ein, dass bestimmte Prinzipien der Rechtswissenschaften am besten durch die Analyse realer Gerichtssituationen und -entscheidungen vermittelt werden können. An der Harvard Business School wurden dann später, seit Anfang der 1920er Jahre, initiiert durch Wallace Brett Donham, spezielle Fälle als entscheidungsbasierte Themenkomplexe konzipiert, die sich mit Wirtschaftsproblemen beschäftigen. Die Harvard Medical School folgte im Jahre 1985, durch Daniel Tosteson, nach längerer Auseinandersetzung. (vgl. Garvin in Harvard Magazine 106/2003: S. 56ff.)


Die Anforderungen an Fallstudien in der Ausbildung
Bei Fallstudien zu Ausbildungszwecken werden unterschieden, je nach Art des Falles:
  • Situationsbeschreibungen, wo keine Lösungen vorgegeben sind, also die Lernenden selbst plausible Ergebnisse erarbeiten sollen
  • Situationsbeschreibungen, wo bereits Lösungen vorgegeben sind, als Diskussionsgrundlage und zum Ergründen von alternativen Lösungsansätzen.
Ein Thema wird allerdings erst dann zu einem ausbildungsrelevanten Fall, wenn ein typisches und grundsätzliches Kernthema vorliegt, bei dem über die Beschäftigung damit, Handlungswissen und Handlungkompetenz durch die Lernenden erworben werden kann, mit Anwendbarkeit im Arbeitsalltag.
Die Fallstudie unterscheidet sich von anderen Unterrichtungsmethoden, wie Erklären oder Aufzeigen, dadurch, dass hier eine aktive Auseinandersetzung mit dem Lerninhalt und konkretes Handeln von Seiten der Lernenden gefordert ist.
Die didaktischen Anforderungen an eine Fallstudie sind dabei (vgl. Pätzold & Lang 1999):
  • Ermöglichung einer unmittelbaren Beziehung der Lernenden zum Fall, auf Grundlage von Erfahrungen und Erlebnissen, bei gleichzeitiger Zukunftsrelevanz für die Lernenden
  • der Fall muss Interpretationsmöglichkeiten durch die Lernenden zulassen
  • der Fall sollte Probleme und Konflikte beinhalten
  • der Fall darf nicht so komplex dargestellt sein, dass er Lernende überfordert
  • der Fall muss überschaubar und innerhalb der (zeitlichen) Rahmenbedingungen lösbar sein
  • der Fall sollte mehrere Lösungen zulassen
  • die exemplarischen Erkenntnisse aus der Fallbearbeitung müssen sich widerspruchsfrei in die Systematik der korrespondierenden Fachwissenschaften einfügen und verallgemeinerungsfähig sein


Die Fallstudie gliedert sich dabei in folgende Phasen (vgl. Hoffmann & Langefeld 1997: S. 67f.):
  1. Konfrontation, bei der die Lernenden mit dem Fall vertraut gemacht werden
  2. Information, bei der es um die Beschaffung und Auswertung von fallbezogenen Informationen geht sowie der Bewertung dieser hinsichtlich der Lösungstauglichkeit
  3. Exploration, bei der es um die Planung der Problemlösung, die Informationsverarbeitung und die Methodenauswahl geht
  4. Resolution, bei der es um die Auswahl und Begründung einer Entscheidung geht
  5. Disputaion, bei der die Entscheidung vorgetragen und diskutiert wird
  6. Kollation, bei der ein Vergleich der Lösung mit der Realität angestellt wird


Phase
Lernende/r
Lehrender
Didaktische Intention
Konfrontation
Erfassen des Themas und seiner Begleitumstände nach:
  • Thema
  • Art
  • Zielen
Vorstellung des Themas
Problemdarstellung, Problemwahrnehmung
Information
Aufarbeitung der Informationen, Identifikation und Entzerrung der Probleme, Beschaffung von Zusatzinformationen
Organisation, Bedarfsintervention
Problem- und Faktenanalyse, Informationssammlung und -auswertung, Überlegungen und Planung zur Problemlösung
Exploration
Erarbeitung verschiedener Lösungsansätze
Organisation, (zielorientierte) Bedarfsintervention

Zielorientierte Anwendung zur Problemlösung, Entwicklung alternativer Lösungsvarianten, Methodenkompetenz
Resolution
Beratung der Lösungsvarianten, Entscheidung für einen Lösungsansatz
Organisation, (folgenorientierte) Bedarfsintervention
Abgestimmte und begründete Problemlösung, Entscheidungsfindung
Disputation
Reflektieren der Entscheidung, Formulierung von Argumenten
Bestärken, Hinterfragen
Einordnung der Problemlösung in den Gesamtzusammenhang
Kollation
Vergleichen der Lösung mit der Realität
Abgleich der Lösung mit der Realität nach:
  • Realitätsnähe
  • Konfliktorientierung
  • Lösungsorientierung
  • ökonomischen Gesichtspunkten
  • Stabilität und Nachhaltigkeit
  • Tragfähigkeit
Feedback / Ausblick
Reflexion und Transfer
Aufteilung der Phasen, nach Anforderungen an die Beteiligten und didaktischer Intention


Die Fallstudie im Hinblick auf verschiedene Lernangebote
Die Bearbeitung von Fallstudien eignet sich insbesondere zur Organisation von Gruppenarbeiten. Aber auch für einzelne Lernende und bei Selbstlernangeboten können Fallstudien hilfreich sein. Die Konzepte müssen dann didaktisch und organisatorisch an die besonderen Anforderungen solcher Angebote angepasst werden. (vgl. Clement & Kräft 2002: S. 113)
Wichtig bei allen Phasen der Fallstudie ist die Kommunikation der Lernenden, vor allem mit dem Lehrenden. Das Konzept sollte so ausgearbeitet sein, dass zeitlich festgelegte Berichte an den Lehrenden gegeben werden, was insbesondere eine Herausforderung bei Selbstlern- und Distanzlernangeboten ist.
Bei Web- und Internetbasierten Lernangeboten können Foren, Chats und Telefon- und Videokonferenzen organisiert bzw. implementiert werden. Ferner ist das Berichtswesen über Kalenderfunktionen, Ticketsysteme etc. organisierbar. Auch hier ist wieder ein Bezug zur modernen Arbeitswelt deutlich herauszustreichen, da auch Projekte oft so organisiert sind, dass die daran Beteiligten an verschiedenen Orten daran arbeiten. Somit ist hier auch die Möglichkeit vorhanden, neben der zur Bearbeitung notwendigen Fach-, Handlungs- und Methodenkompetenz, besondere Herausforderungen an die Medien- und Sozialkompetenz zu vermitteln.


Literatur
Clement, Ute / Kräft, Klaus: Lernen organisieren. Medien, Module, Konzepte, Berlin Heidelberg 2002.
Garvin, Davis A.: Making The Case. In Harvard Magazine Vol. 106 Nr. 1,(Sep./Oct) 2003.
Hoffman, Bärbel / Langefeld Ulrich: Methoden-Mix. Unterrichtliche Methoden zur Vermittlung beruflicher Handlungskompetenz in kaufmännischen Fächern, Darmstadt 1997.
Pätzold, Günter / Lang, Martin: Lernkulturen im Wandel. Didaktische Konzepte für eine wissensbasierte Organisation, Bielefeld 1999.
 

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